„Integration war ein Fremdwort“

Filmvorführung und Buchbesprechung: Lange zeigten deutsche Fernsehsender kein Interesse – nun kam „Auf nach Almanya“ gleich ins Kino. Die Dokumentation wurde zeitgleich mit dem Sammelband „Migration – Arbeit – Utopie“ in Münster vorgestellt.
Vor rund 60 Jahren begann mit dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei eine Einwanderungsgeschichte, deren soziale, wirtschaftliche und politische Dimensionen noch heute das Schicksal der Nachfolgegenerationen der sogenannten Gastarbeiter prägen.
Zum Anlass dieses historischen Jubiläums veranstaltete der interkulturelle Verein Radio-Kaktus Münster e.V. in Kooperation mit dem Kommunalen Integrationszentrum Münster und dem Integrationsrat der Stadt einen Kulturabend mit bewegenden Impressionen und Zeitzeug:innenberichten:
Im Cinema Münster feierte die Dokumentation „Auf nach Almanya“ der Regisseurin Gülsel Özkan Kinopremiere, in der generationenübergreifend bekannte Persönlichkeiten wie die Politikerin und Bundesverdienstkreuzträgerin Dr. Lale Akgün oder der ehemalige FC Bayern-Spieler Hamit Altıntop zu Wort kommen. Eindrücklich schildern sie die Anstrengungen türkeistämmiger Menschen beim Ankommen in einer neuen Heimat, die sie nicht immer willkommen hieß. Dass so viele bleiben würden, hätte damals niemand geahnt. Strengen Lese-, Schreib- und Gesundheitstests hatten sich die angeworbenen Fachkräfte damals zu unterziehen; ein Vorgehen, dass auch Maria Winkel, Bürgermeisterin der Stadt Münster (SPD), erschüttert hat, wie sie in ihrer Eröffnungsrede gestand. „Die Bundesrepublik hat erhebliche Bedingungen an die Einwanderer gestellt. Deutschland hat dafür gesorgt, dass tatsächlich nur Leute hierher kommen, die tüchtig arbeiten können.“
In den 60er-Jahren sei Integration ein Fremdwort gewesen. Heute leiste der Integrationsrat der Stadt Münster zwar tolle Arbeit, aber noch immer sei die Zahl der Menschen mit Migrationsvorgeschichte, die etwa bei der Stadtverwaltung arbeiten, viel zu gering und über Stellen in Führungspositionen müsse man gar nicht erst reden.
Maria Winkel hob daher die rassismuskritische Arbeit des Kaktus Münster e.V. besonders würdigend hervor. Der Verein setzt sich mit Informations- und Bildungsveranstaltung dafür ein, in der Stadtgesellschaft und darüber hinaus nachhaltig den Blick für unterschiedliche Lebensrealitäten zu schärfen, Vorurteilen und jeglichen Diskriminierungsformen kritische Stimmen entgegenzuhalten und über zwischenmenschliche Begegnungen ein besseres Verständnis der Vergangenheit sowie Gegenwart zu vermitteln, um gemeinsam eine friedliche Zukunft zu gestalten, die auf mehr Miteinander und Solidarität basiert.
Auch Schriftsteller und Kaktus-Geschäftsführer Molla Demirel ist Protagonist im Film „Auf nach Almanya“. Im Anschluss an die Vorstellung wurde sein kürzlich veröffentlichter Sammelband „Migration – Arbeit – Utopie“ besprochen, in dem er als Herausgeber die Perspektiven von über 20 Mitwirkenden aus Wissenschaft, Kunst und Literatur auf die 60-jährigen deutsch-türkischen Beziehungen vereint. Regisseurin Gülsel Özkan, der Künstler und Schriftsteller Ismail Çoban sowie Übersetzer und Autor Özgür Metin Demirel diskutierten auf dem Podium über ihre persönlichen Beiträge zu diesem Werk, über Gleichberechtigung und Begegnung auf Augenhöhe.
Es sind viele, die am Film und Buch mitgewirkt haben, genauso wie es viele sind, die früher als „Gäste“ die deutsche Wirtschaft mit angekurbelt haben, als diese es dringend nötig hatte. Daran erinnerte bei der Veranstaltung auch Maria Salinas, Vorsitzende des Integrationsrats, und nannte neben der Türkei auch Spanien, Griechenland, Italien, Marokko, Portugal, Südkorea und das ehemalige Jugoslawien, die Fachkräfte entsandt hatten. Und nicht nur ihre Arbeitskraft brachten die Menschen mit, sondern auch einen nachhaltigen Reichtum an Sprachen und Kulturen. „Sie sind damit nicht nur Teil der Geschichte, sondern heute aktive Bürgerinnen und Bürger in allen Bereichen der Gesellschaft.“
Am 5. September strahlt Radio-Kaktus um 20:04 weitere Eindrücke und Reden des Abends in seinem Interkulturellen Magazin auf Antenne Münster aus. Das Buch „Migration – Arbeit – Utopie“ kann beim Verein gegen eine Spende erworben werden. Die Einnahmen fließen zu 100% in die Soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Informationen: 0251 66 63 77 und kaktus.ms@gmx.de.